Deutsche Medaillenbilanz: Qualität statt Quantität

44 Medaillen sollten es werden, das Niveau von London 2012 also gehalten werden - so lautete die Vorgabe des DOSB. Als "Medaillen-Korridor" galten auf der Basis der Vorleistungen 42 bis 71 Plaketten.

Hinterher ist man immer schlauer: Unter dem Strich stehen gerade einmal 42 Medaillen - sozusagen der Bodensatz des Medaillen-Korridors. Das ist eine Medaille mehr als in Peking 2008 - damals die schlechteste Ausbeute seit der Vereinigung. Die 44 Medaillen von London bleiben außer Reichweite. Allerdings gibt es mehr deutsche Olympiasiege als 2012 zu feiern. Mehr Qualität als Quantität also. Doch das ist ein schwacher Trost für ein so aufwändiges und auf Breite angelegtes Sportfördersystem wie das deutsche, das nun einmal mehr auf dem Prüfstand steht.

So war denn Rio trotz strahlender Helden wie dem Turner Fabian Hambüchen oder den Beach-Volleyballerinnen Laura Ludwig und Kira Walkenhorst alles andere als eine ausgelassene Sambaparty für das deutsche Team, zumal der Unfalltod von Kanuslalom-Bundestrainer Stefan Henze einen Trauerrand um die sonst so heile Olympiawelt malte.

Kranke Kernsportarten
Besonders empfindlich sind die Einbußen des deutschen Sports in den beiden olympischen Kernsportarten Schwimmen und Leichtathletik. Die Schwimmer, die sich in London schon am Tiefpunkt wähnten, schaffen in Rio nur noch sieben Finalteilnahmen und bleiben medaillenlos. Einmal mehr werden Strukturen in Frage gestellt und mehr Gelder gefordert. Alles schon gehört: der DSV tritt auf der Stelle. In der deutschen Leichtathletik, der es ohnehin an Nachwuchs mangelt, hat das kleine Zwischenhoch von London nicht vorgehalten, und der erste Goldjunge Christoph Harting präsentiert sich auch noch als eigensinniger Anti-Held.

Es ist aller Ehren wert, wenn in Kampfsportarten wie Ringen, Judo oder Boxen der eine oder die andere Deutsche gegen die geballte Konkurrenz vor allem aus Osteuropa und Asien Achtungserfolge erzielt. Oder wenn Bahnrad-Sprinterin Kristina Vogel - Sattel hin oder her - sogar Gold gewinnt. Ob solche Sternstunden reichen, um diese Sportarten am Leben zu halten, ist eine andere Frage. Denn die Fördermittel, die nach Olympia wieder einmal neu sortiert werden sollen, orientieren sich am gewonnenen Edelmetall.

Zu Pferde, zu Wasser, auf dem Schießstand
Bundesinnenminister Thomas de Maizière, dessen Ministerium die Hauptlast der staatlich organisierten Sportförderung trägt, hat keinen Hehl daraus gemacht, dass er für das Geld auch Erfolge ("ein Drittel mehr Medaillen") sehen will. Die Medaillen-Orientierung mag unsittlich erscheinen angesichts der Welle von Dopingenthüllungen, die vor Rio über den internationalen Sport schwappte. Doch nur mit dem Finger auf andere zu zeigen, das reicht auch nicht.

Zumal es ja Sportarten gibt, wo die Deutschen nach wie vor konkurrenzfähig sind - vor allem dann, wenn sie auf einem Pferd sitzen, in einem Boot paddeln oder rudern, nicht zuletzt mit Gewehr oder Pistole zielen; in Rio waren die Sportschützen nach der Nulldiät von London noch besser in Schuss als 1996 in Atlanta und 2004 in Athen. Die Kanuten sind seit Jahren verlässliche Medaillenlieferanten - sie haben, auch wenn das im Doping-Zusammenhang anrüchig klingt -, das DDR-Sporterbe am besten fortgeführt. Dafür stehen die Fechter am Abgrund - absehbar, denn nur drei Männlein und ein Weiblein haben sich überhaupt für Rio qualifiziert. Beachtlich ist die Ausbeute dagegen in den Mannschaftssportarten; keine Olympiatouristen weit und breit.

Britanniens Struktur-Lokomotive
International wird die Konkurrenz immer breiter - der deutsche Sport aber stagniert. Einen Platz unter den Top 5 zu erringen wird immer schwerer. Als stärkstes westeuropäisches Land ist Germany schon 2008 im Medaillenspiegel von Großbritannien abgelöst worden - der Gastgeber-Effekt von London 2012 machte es möglich. In Deutschland sind Olympiabewerbungen aber unerwünscht.

Es fehlt also eine solche Struktur-Lokomotive, die im Übrigen in Rio keinerlei Zugkraft eingebüßt hat: Die Briten haben sich stark genug gezeigt, um im Kopf-an-Kopf-Rennen um Platz zwei in der Medaillenwertung gegen das Milliardenvolk China zu obsiegen.

Was vom kalten Krieg übrig blieb
Die USA sind und bleiben die letzte Sportsupermacht, die vom kalten Krieg ǘbrig geblieben ist - mit 121 Medaillen jenseits von gut und böse. Sie zeigen mit dem Finger auf die wegen Systemdopings dezimierten, aber nicht komplett gesperrten Russen; letztere werden aber trotzdem vierte und vermuten ein Komplott des Westens. Fast wie früher.

In Deutschland hingegen, wo jenseits von Olympia nur Fußball, Fußball und noch einmal Fußball läuft, wo das IOC trotz eines deutschen Präsidenten so schlecht wie nie angesehen ist und wo Olympia nur noch als Fernsehereignis konsumiert wird - in Deutschland also scheint eine Verständigung darüber, welcher Sport und wie viel davon gewünscht ist, mehr als überfällig.

Ein Blick auf die deutsche Medaillenbilanz seit der Vereinigung zeigt: Die Zahl der gewonnen Medaillen ist von Barcelona 1992 - damals noch mit dem Effekt des DDR-Sportsystems - bis Peking 2008 kontinuierlich gesunken; in London fand eine leichte Erholung statt. In Rio gewann das deutsche Team genau eine Goldmedaille mehr als in Peking.

SpieleRang*MedaillenGoldSilberBronze
Barcelona 19923/382332128
Atlanta 19963/265201827
Sydney 20005/556131726
Athen 20046/549131620
Peking 20085/641161015
London 20146/544111914
Rio de Janeiro 20165/542171015

* Rang nach Goldmedaillen/nach Medaillenzahl gesamt
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