Deutsche Bilanz: Zwischen Fairplay-Preis und Medaillenrausch

Foto: Twitter (Montage)
Innerhalb von zwei Wochen kann manchmal vieles passieren: Noch zu Beginn der Olympischen Winterspiele 2018 äußerte der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes, Alfons Hörmann, lieber mit einer Fairplay-Medaille nach Hause gehen zu wollen als mit Platz eins in der Medaillenwertung. Da beherrschte das Thema Doping noch die Schlagzeilen, und eine pünktlich vor der Eröffnung veröffentlichte und von einem Whistleblower zugespielte Blutwerte-Datenbank aus dem Langlauf zeigte, dass nicht nur russische, sondern auch andere internationale Athleten, deutsche eingeschlossen, in den Jahren 2001 bis 2010 zu Wettkämpfen auffällige Blutwerte aufgewiesen hatten. Kann man also Erfolg haben, aber nicht um jeden Preis, und wie viele Medaillen sollen das dann sein?

Ende des Negativtrends
Ganz schön viele, nämlich genau 31. Zwei Wochen später stand ein widererstarktes deutsche Team auf dem zweiten Platz der inoffiziellen Medaillenwertung mit 14 Gold-, zehn Silber- und sieben Bronzemedaillen, dazu noch 43 Platzierungen auf den Rängen fünf bis acht. Nur Norwegen holte mehr Medaillen (39). Es war das quantitativ beste deutsche Abschneiden bei Winterolympia überhaupt - selbst die beiden getrennten deutschen Teams von 1968 bis 1988 hatten zusammengerechnet nie 14 erste Plätze auf dem Podium geschafft - und eine Beendigung des Negativtrends, der nach den Winterspielen 2002 in Salt Lake City eingesetzt hatte, als das deutsche Team insgesamt sogar 36 Medaillen (fünf mehr als diesmal) holte, und in Sotschi 2014 mit 19 Medaillen den Tiefpunkt erreichte.

Allerdings beschert die Erweiterung des Olympischen Programms auch viel mehr Siegchancen als früher: 1988 gab es nur 46 Wettbewerbe, 2002 waren es bereits 78 und 2018 schon 102. Das relativiert den Medaillenrausch. Trotzdem: Eine Trendwende hat in Pyeongchang stattgefunden.

Wie kommt's? Zeigte die seit Jahren duchdeklinierte Leistungssportreform endlich Wirkung? Wohl kaum. Die Fragen, wie viel Elitesport sich Deutschland leisten möchte, ob die Förderung noch mehr in Spitze gehen soll, wie junge Menschen im Digitalzeitalter für Sport zu begeistern sind, welche Entschädigung man Sportlern dafür bieten sollte, dass sie keine normale Jugend und keine gewöhnliche Berufskarriere verleben können, sind nach wie vor nicht geklärt. Ein Fairplay-Preis allein wird jedenfalls niemandem genügen. Dafür floss und fließt nach wie vor viel zu viel Geld in den Spitzensport, der im Gegensatz zum Breitensport nicht Ländersache ist, sondern vom Bund alimentiert wird.

Teure Sportföderung
Allein das Bundesinnenministerium hat einen jährlichen Spitzensport-Etat von 169 Millionen Euro. Hinzu kommen für Pyeongchang 4,3 Millionen Euro sogenannte Entsendungkosten der Olympiamannschaft. Aus dem BMI-Etat fließen zudem jährlich 25 Millionen Euro für bei der Bundespolizei angestellte Spitzensportlerinnen und Spitzensportler. In Pyeongchang gingen 24 Bundespolizistinnen und -polizisten am Start. Das ist aber noch nicht alles: 60 der 154 deutschen Athletinnen und Athleten gehören der Bundeswehr an, die sich gerne als größter Sponsor des Spitzensport bezeichnen lässt. Die Biathletin Laura Dahlmeier ist die bekannteste im Team von 23 Angehörigen des Zolls.

Für das viele (Steuer-) Geld will der Staat auch Erfolge sehen. Insofern haben der DOSB, der um weitere Mittel kämpft, und seine Spitzensportlerinnen und -sportler mit ihrem Abschneiden in Südkorea gute Argumente in eigener Sache geliefert - wenngleich Funktionäre und Athleten nicht immer einer Meinung sind. Die Medaillen-Analyse zeigt, dass die Deutschen zwar auch vom schlechten Abschneiden der Sport-Großmächte USA, China und - nach dem Dopingskandal - Russland profitiert haben. Doch "Team Deutschland", wie es jetzt heißt, hat sich in Pyeongchang in erster Linie auf die eigenen Stärken besonnen und - wie man im Sporttechnokraten-Deutsch sagt - seine "Leistung abgerufen".

Favoritenbürde
Schon gewöhnt hat man sich an die Erfolge deutscher Bob- und Schlittenfahrer. In diese Sportarten und ihre Technologie steckt Deutschland besonders viel Geld und unterhält allein vier Weltcup-taugliche Bahnen. Die Medaillen-Rendite ist stets hoch, es sei denn, die Bobfahrer patzen auf der ganzen Linie wie in Sotschi. Den einzigen Makel der ansonsten blütengoldenen Pyeongchang-Bilanz produzierte ausgerechnet Felix Loch, Sohn des Rennschlitten-Bundestrainers Norbert Loch, der im letzten Lauf noch von Platz eins auf Platz fünf abstürzte und sein viertes olympisches Gold verpasste. Auch die nordischen Kombinierer gewannen alle ihre drei Wettbewerbe und trugen die Favoritenbürde scheinbar mühelos von den Schanzen ins Langlauf-Ziel. Die Krone: Der Dreifach-Sieg im Einzelwettbewerb von der Großschanze für Johannes Rydzek, Fabian Rießle und Eric Frenzel.

Die Biathleten, in Sotschi noch sieglose Bringschuldner, schoben das deutsche Team mit ihren Siegen zu Beginn der Spiele in die Gewinnerspur, allerdings ließ die Erfolgssträhne der Skijäger im weiteren Verlauf nach. Laura Dahlmeier kehrte mit zwei Gold- und einer Bronzemedaille heim - eine noch größere Ausbeute verhinderten ihre Mitläuferinnen und -läufer in der Mixed- und Frauenstaffel. Die Skispringer schafften es in allen vier Wettbewerben aufs Podest, Andreas Wellinger flog sogar zum Olympiasieg von der Normalschanze und gewann zwei Mal Silber.

Programmierter Erfolg
Nichts zu holen war hingegen für die Langläufer, und auch im alpinen Skisport, in Sotschi mit der Olympiasiegerin Maria-Höfl-Riesch an der Spitze noch für insgesamt drei Medaillen gut, stand unter dem Strich keine schwarze, sondern eine rote Null. Das Debakel im Eisschnelllaufen war vorhersehbar und ist hausgemacht; es handelt sich um eine regelrechte Existenzkrise dieser Sportart. Claudia Pechstein, die in Pyeongchang ihren 46. Geburtstag feierte, hat schon "angedroht", dass sie weitermachen will. Ein negatives Zukunftsthema ist auch, dass die Deutschen in den sogenannten Trendsportarten praktisch nicht vorkommen. Einzige Ausnahme: Silber und Bronze im Parallel-Riesenslalom der Snowboarderinnen.

Programmieren lassen sich Erfolge zum Glück nicht, und die schönsten Siege sind immer noch die, mit denen keiner gerechnet hat. Womit ließe sich dieses Hochgefühl besser ausdrücken als mit dem ersten deutschen Paarlauf-Gold seit 66 Jahren für Aljona Savchenko und Bruno Massot - Lohn für eine lange, entbehrungsreiche Karriere? Oder mit der unwahrscheinlichen Silbermedaille für die deutschen Eishockey-Cracks, die im Finale kurz davor standen, die favorisierten Russen zu bezwingen. Das war schön, das gibt's wahrscheinlich nie wieder.

Die Erfolge von Pyeongchang sind Kapital, aber auch Hypothek für die Zukunft. Der DOSB wird nun danach trachten, das Hochgefühl umzumünzen in mehr Begeisterung für eine nationale Olympiabewerbung. Die nächsten Winterspiele finden indes in Peking statt. Eine Spitzensportreform, die hoffentlich nun umgesetzt wird, kann bis dahin zwar noch nicht greifen, aber die deutschen Sportlerinnen und Sportler werden sich in vier Jahren am Rekordergebnis von 2018 messen lassen müssen.

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