Nach langen Zögern und Taktieren war es schließlich am 10. August 2024 soweit: IOC-Präsident Thomas Bach kündigte auf der IOC-Session am Ende der Olympischen Spiele in Paris seinen Rückzug an. Der Olympischen Charta zufolge wäre seine Amtszeit nach zwei Wahlperioden ohnehin abgelaufen; andererseits hatte der Rechtsanwalt aus Tauberbischofsheim genug Stimmen aus seiner IOC-Gefolgschaft gesammelt, die ihm bescheinigten, an der IOC-Spitze unersetzbar zu sein. Eine Satzungsänderung wäre demnach nötig gewesen, um ihm eine dritte Amtszeit zu ermöglichen. Dass der Florett-Olympiasieger von 1976 dieser Versuchung letztlich widerstand, bewahrte das IOC vor einer neuerlichen ethischen Entgleisung und verschaffte dem 70-Jährigen mit den glanzvollen Pariser Spielen als Vermächtnis einen sauberen Abgang.
Die sieben Kandidaten auf der IOC-Website (Screenshot)
Allerdings hinterlässt Bachs Abschied auch ein Macht-Vakuum, in das sieben Kandidaten hineinstoßen wollen. Die einzige Frau unter ihnen, die zweimalige Schwimm-Olympiasiegerin und Sportministerin Kirsty Coventry aus Simbabwe, galt zeitweilig als Bach-Zögling. Sie wäre die erste (weiße) Afrikanerin und die erste Frau nach neun Männern an der IOC-Spitze; zudem ist sie die Jüngste (41) im Bewerberfeld. Zur Favoritin macht sie all das aber nicht.
Nur drei der sieben Bewerber - neben Coventry noch Juan Antonio Samaranch, der gleichnamige Junior des siebten IOC-Präsidenten, und der jordanische Prinz Feisal Al-Hussein - sind "echte", also persönliche Mitglieder des IOC. Vor allem gehört dieses Trio dem IOC-Exekutivkomitee an (Samaranch sogar als Vize-Präsident); dessen Rolle ist unter Bach sogar noch größer geworden.
Die anderen Vier - Sebastian Coe (Großbritannien/Leichtathletik), Johan Eliasch (Großbritannien/Ski), David Lappartient (Frankreich/Radsport) und Morinar Watanabe (Japan/Turnen) - verdanken ihre IOC-Mitgliedschaft hingegen allein ihren Rollen als Präsidenten Internationaler Fachverbände.
Ärger um Lord Coe
Mangels eines zwingenden Favoriten schlägt nun die Stunde der Power-Broker und Königsmacher, zumal der scheidende IOC-Präsident es versäumt hat, seine Nachfolge zu regeln. Statt dessen hat mit Lord Coe, neben Coventry übrigens der einzige Olympiasieger im Bewerberfeld, ein sportpolitischer Unfreund Bachs den Hut in den Ring geworfen - obwohl ihm die IOC-Ethikkomission noch einen Stolperstein in den Weg gerollt hat. Coe ist nämlich nur noch bis 2027 IAAF-Präsident, danach müsste er auch aus dem IOC ausscheiden. Da darf - laut Ethikkomission - auch für IOC-Präsident keine Ausnahme gemacht werden. Zudem hat Coe (67) wie auch Samaranch jr. (65) ein Altersproblem: Beide würden während ihrer achtjährigen Amtszeit die Altergrenze von 70 Jahren überschreiten.
Coe steht für einen Paradigmenwechsel, hat er doch im Alleingang bei den Olympischen Spielen 2024 50.000 Dollar Preisgeld für jeden Olympiasieg in der Leichtathletik ausgelobt, die sein Weltverband IAAF auszahlt. Das ist das Gegenteil der bisher gerne vom IOC betonten olympischen Solidarität.
Einer der Kritiker dieser "The winner takes it all"-Mentalität ist Mitbewerber Lappartient, der für sich reklamieren kann, sowohl an der Organisation der erfolgreichen Pariser Spiele als auch am Zuschlag Frankreichs für die Winterspiele 2030 beteiligt gewesen zu sein; zudem leitet er die E-Sports-Kommission des IOC und hat Anteil an der Vergabe der ersten Olympischen E-Sports-Spiele nach Saudi Arabien.
Die glorreichen Sieben mussten einen geradezu aseptischen Wahlkampf bestreiten: Die einzige erlaubte Ansprache an das Wahlvolk fand am 30. Januar 2025 in Lausanne statt. Dabei durfte jeder Bewerber - räumlich getrennt - eine 15-minütige Videobotschaft vortragen. Zur Wahl schreiten die IOC-Mitglieder dann auf der 144. IOC-Session (18 bis. 21. März in Costa Navarino Griechenland); und zwar wie auch bei der Wahl der Olympiastadt so lange, bis jemand die einfache Mehrheit hat. Am 131. Jahrestag der IOC-Gründung, dem 23. Juni 2025, wird Bach abtreten und die Amtsgeschäfte übergeben.